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Zur "herdreh"

Text about the Installation

Zur „herdreh“

 

– eine Installation von Nazar Hontschar, Wolfgang Musil und Winfried Ritsch –

„Man erforscht Vermögen des Empfindens und Phrasierens, des Sätzebildens bis an die Grenzen des Möglichen; man erweitert das Empfindend-Empfindbare und das Sagend-Sagbare; man experimentier t…“ [1]

Die Installation „herdreh“ verweist durch den Titel nicht nur darauf, dass es sich um ein Sprachspiel handelt, sondern sie verweist auf ihre eigentliche Funktion, die im Anklang mit dem Konzept des „Ausstellungsortes“ – dem MedienKunstLabor – steht: Sie ist so etwas wie ein Dreh-Umdreh-Stadium in einem weitergehenden Prozess des künstlerischen Schaffens, dessen Ergebnisse eigentlich nicht vorhersehbar sind. In diesem Sinne handelt es sich hier um ein künstlerisches Experiment, aber auch um einen Versuch, das Experiment „Kunst“ in Gang zu setzen.

Man könnte behaupten, dass die Kunst ein Experiment ist. Oder, dass die Kunst immer experimentell ist – weil einige Installationen und Werke sich stark den naturwissenschaftlich-experimentellen Versuchen annähern. Aber trotz der terminologischen Übereinstimmung durch den Begriff des Experiments unterscheidet sich ein wissenschaftliches Experiment wesentlich von einem künstlerischen: „Ein wissenschaftliches Experiment intendiert die Bestätigung eines Gesetzes, es intendiert absolute Wiederholbarkeit und Regelmäßigkeit – es schließt also alles Unvorhersehbare und Zufällige aus, es ist nicht einzigartig. Dagegen intendiert ein künstlerisches Experiment wenn möglich eine einzigartige Konstellation, es soll das Unvorhersehbare, das Zufällige und Nicht-Wiederholbare erfahrbar machen." [2]

Obwohl aus verschiedenen Kunstgattungen kommend, die sich auf verschiedene Ausdrucksmedien beziehen, zeigen sowohl Nazar Hontschar als auch Winfried Ritsch und Wolfgang Musil in ihrem künstlerischen Schaffen eine starke experimentelle Orientierung. Diese wurde im laborartigen Charakter des Entstehungsprozesses des „herdreh“-Werkes zur Geltung gebracht.

Den Kern von Hontschars Arbeiten bilden Sprachspiele wie Anagramme, Palindrome, Ambigramme und Bildgedichte. In diesen verstricken sich sprachenübergreifende Homophone und Buchstaben aus allen Alphabeten mit Bildern aus Hontschars eigener autistischer „Schlaf-Welt“. So kommt er daher wie jemand aus einer anderen Zeit, in der dem Spiel mit den Silben – vorwärts wie rück- und seitwärts – etwas Vormenschliches anhaftet und in der den einfachsten, banalsten Dingen Wahrheiten auskommen, wenn man sie nur lange genug dreht und wendet. Dabei geht es dem Künstler weniger um eine Vermittlung. Das Spiel genügt dem Spiel(enden) völlig. [3]

Dieses „Spiel“ wurde von Musil und Ritsch aufgenommen, und als Ergebnis der Zusammenarbeit der drei Künstler entstand eine Installation, die aus Klangskulpturen, Textbildern und Textobjekten besteht.

Die Palindrom-Lieder schöpfen sowohl auf musikalischer wie auch auf sprachlicher Ebene die Möglichkeiten vom vorwärts und rückwärts abgespielten Material aus. Vorwärts abgespielt klingen die Palindrom-Lieder wie konventionelle Lieder mit leicht verdrehten Klangeinsprengseln. Werden die Lieder dann umgedreht und von hinten nach vorne abgespielt, eröffnet sich eine Reihe überraschender Klänge und Töne. Rückwärts abgespielte Sequenzen geben den Liedern einen aus der elektronischen Musik bekannten Klangcharakter. Die gesungenen und gesprochenen Texte bleiben dabei inhaltlich aber immer gleich.

Analog zu palindromatischen Texten lassen sich palindromatische Musikkompositionen von beiden Richtungen mit demselben klanglichen Resultat lesen. Durch das Palindrom lässt sich die Idee des linear-kausalen Zeitflusses – zugunsten eines Zustandes – kompositorisch aufheben.

Die Tatsache, dass das Palindrom, das selbst schon wie eine kleine Sprachmusik klingt, vorwärts und rückwärts lesbar ist, verweist auf die sprachliche Bedeutungsebene, aber mehr noch auf die Wechselbeziehung zwischen Musik und Bild bzw. zwischen Bild und Musik. So wollen sich die Eindrücke der beiden Sinne – des Sehens und des Hörens – in dieser Installation nicht doppeln, was sie letztlich auch nicht könnten, sondern sie treten in einen Dialog, der mehr ist als die Summe seiner beiden Teile.

Die akustische Raumsituation und verschiedene Raumpositionen lassen das Sprachspiel „herdreh“ auch in dieser Hinsicht hör- und sichtbar werden.

M.P.

 


 

[1] J.-F. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin 1986, S. 70.

[2] Vgl. E. Fiala, Eröffnungsvortrag zur Ausstellung „next code: flow“, November 2007,  www.kultur.at/van/next/code/flow/set02/dok06.htm

[3] www.leykamverlag.at/www/shop/detail.php

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